Erstes Netzwerktreffen
Eine bunte Community tauscht sich zum Thema Reallabore aus

©Projektträger Jülich (PtJ)

Experimentieren, Fortschritt und Innovation – diese Begriffe assoziierten   die Teilnehmenden des ersten Netzwerktreffens der Initiative Digi-Sandbox.NRW mit dem Begriff Reallabor. Am 18.11.2022 kamen ca. 50 Teilnehmende, darunter Netzwerkmitglieder, Reallaborbetreiberinnen und -betreibern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Genehmigungsbehörden erstmals im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIKE) zusammen.  Über den Tag beschäftigten sie sich mit allen Facetten eines Reallabors: von der Entstehung bis zum Ausrollen.

©Projektträger Jülich (PtJ)
Eröffnung des Netzwerktreffens

Seit dem Start der Initiative Digi-Sandbox.NRW im Dezember 2021 registrierten sich bereits 67 Netzwerkmitglieder. Auf der Digi-Sandbox-Map präsentieren sich mittlerweile 63 Reallabore, die an 77 Standorten in Nordrhein-Westfalen Innovationen ausprobieren. Nur zwei davon greifen auf eine Experimentierklausel zurück.
Eine durch die Veranstaltung begleitende Umfrage unter den Teilnehmenden ergab, dass 75 % von ihnen insbesondere die Ziele der neuen Landesregierung interessierten.  Aber auch das Knüpfen neuer Kontakte mit anderen Netzwerkmitgliedern sowie der Austausch mit den Genehmigungsbehörden hatte sie nach Düsseldorf gelockt.

Projektträger Jülich betreibt zentrale Kontaktstelle

Das MWIKE hat die Reallabor-Initiative ins Leben gerufen. Bei ihrer Umsetzung fungiert der Projektträger Jülich (PtJ) als Betreiber der zentralen Kontaktstelle für Reallabore in NRW.  So wurde auch die Begrüßung von beiden Häusern wahrgenommen: Christian Siebert, Gruppenleiter für Europa & Recht repräsentierte das MWIKE, Rebecca Niemann, Fachbereichsleiterin für Regionalentwicklung und Digitalisierung vertrat PtJ. Beide zeigten auf, welchen hohen Stellenwert das Experimentieren in der Gesellschaft mithilfe von Reallaboren einnimmt und wie wichtig es ist, neue Wege zu beschreiten, um Innovationen anzustoßen.

Ergebnisse der Umfrage

Einblicke in die Genehmigungspraxis

Im ersten thematischen Schwerpunkt der Veranstaltung gaben verschiedene Genehmigungsbehörden Einblicke in ihre Arbeit.

René  Usath, Referatsleiter für Verkehrstechnik, Verkehrslenkung und Verkehrssicherung im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes NRW (MUNV) nahm die rechtlichen Rahmenbedingungen für das automatisierte und autonome Fahren in den Fokus seines Vortrags.
Während von den fünf Stufen des automatisierten Fahrens das „assistierte Fahren“ und das „teilautomatisierte Fahren“ bereits im Einklang mit dem deutschen Straßenverkehrsrecht stehen, benötigt es für die Stufen des „hochautomatisierten Fahrens“, des „vollautomatisierten Fahrens“ sowie des „autonomes Fahrens“ eine Änderung des Straßenverkehrsrechts. Bereits im Jahr 2017 und im Jahr 2021 wurden Änderungen angestoßen – allerdings nur für zwei der genannten Stufen. Bevor das autonome Fahren für den Individualverkehr ausgerollt werden kann, gilt es zunächst, Erprobungsgenehmigungen einzuholen, die notwendige Infrastruktur zu schaffen sowie die Sensorik sicher auszuarbeiten.

Download: Präsentation von René Usath
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Daran anschließend berichtete Hans-Peter Kalenberg, stellvertretender Referatsleiter für Glücksspielwesen im Innenministerium des Landes NRW (IM) über Genehmigungen gemäß § 25a des E-Government-Gesetzes (EGovG NRW). Diese Experimentierklausel soll die elektronische Kommunikation mit und innerhalb öffentlicher Verwaltungen erleichtern. Auch wenn viele Prozesse noch nicht vollständig digitalisiert wurden, ermöglicht diese Experimentiermöglichkeit innovative Kommunikationsformen.

Während die Kommunikation der öffentlichen Verwaltung vor einigen Jahren noch ausschließlich über Briefe abgewickelt wurde, gewann die elektronische Kommunikation – insbesondere in Pandemie-Zeiten – an Bedeutung. Dies zeigt, dass Krisen oft Innovationsbeschleuniger sind. Allerdings benötigten Änderungsprozesse vor allem Zeit und müssen von der Gesellschaft akzeptiert werden. Die Reaktionen des Publikums auf den Vortrag zeigten, dass ein sehr hohes Interesse an einer schnellen, digitalen und medienbruchfreien Kommunikation und Bescheidung durch die Behörden besteht.

Download: Präsentation Hans-Peter Kalenberg
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Wissenstransfer leben – drei Reallabore berichten aus der Praxis

Im zweiten thematischen Schwerpunkt des Tages stellten ausgewählte Reallabore sich und ihre Arbeit vor und tauschten sich untereinander aus. Den Anfang machte Thorsten Försterling von der Landeseisenbahn Lippe e.V. vom Reallabor MONCAB OWL: Indem sich Passagier-Kabinen auf einer einzelnen Schiene fortbewegen, werden stillgelegte Eisenbahnstrecken reaktiviert, um die Verkehrsanbindung des ländlichen Bereichs zu optimieren. So wird nicht nur ein zusätzlicher Anreiz für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs geschaffen, sondern auch auf bereits bestehende Infrastruktur zurückgegriffen – ein doppelter Gewinn für den Klimaschutz.
Das Team besteht aus Wissenschaft, Wirtschaft und einem Eisenbahnunternehmen im Ehrenamt, vielen Unterstützern und der Verwaltung.

Auch das zweite Reallabor, das sich vorstellte, hat Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Blick: Laut Christoph Rademacher von der E.ON Energy Solution GmbH ist es nicht mehr zeitgemäß, dass sich jeder Einzelhaushalt allein um die Energieversorgung kümmert.  Im Reallabor TransUrban.NRW werden daher ganzheitliche Quartierslösungen angeboten: Niedertemperaturnetze, die Energie u. a. aus Solaranlagen, Abwasser- oder industrieller Wärme beziehen, versorgen das gesamte Quartier. Reallaborbetreiberinnen und -betreiber der Zukunft weist Herr Rademacher auf die Wichtigkeit der Kooperation aller Stakeholder, der Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Planer hin.

Von den Behörden wünscht er sich transparentere und digitalere Genehmigungsverfahren. Auch in Bezug auf die Weiterentwicklung des Rechts hat er einen bedeutsamen Hinweis: Das Energie-Recht müsse auf die Dekarbonisierung ausgerichtet werden. Zum Glück befindet sich im Publikum auch ein Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, der sich sicher bereits Notizen für das geplante Reallabore-Gesetz macht (aber dazu später).

Download: Präsentation Christoph Rademacher
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Im dritten Reallabor, green health lab, entwickelt Mandana Banedj-Schafii nicht nur das Bewohnerzimmer eines Seniorenheims der Zukunft, in dem ein würdevolles Altern möglich ist. Darüber hinaus bietet das Gebäude auch Raum zur Erforschung von gesundem und nachhaltigem Arbeiten.

Das Gesundheitswesen sieht sich Herausforderungen wie steigenden Gesundheitskosten, dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel ausgesetzt. Getestet werden nicht nur Hygienekonzepte, sondern auch KI-Anwendungen im Gesundheitssektor oder nachhaltige Bauweisen.
Das in Planung befindliche Reallabor hat bereits unterschiedlichste Akteure aus dem Gesundheitssektor zusammengebracht, womit das hohe Potenzial von Synergien innerhalb von Reallaboren eindrucksvoll demonstriert wird. 

 

Download: Präsentation Mandana Banedj-Schafii

 Welche Rahmenbedingungen benötigen Reallabore?

Nach einer einstündigen Mittagspause – die von den Teilnehmenden ausgiebig zum Netzwerken und Austauschen genutzt wurde –, ging es interaktiv weiter. Die Teilnehmenden diskutierten in Kleingruppen drei wesentliche Fragen rund um den Lebenszyklus eines Reallabors:

World-Cafés

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Raum für Ideen

Bei der Frage, was für die erfolgreiche Einrichtung eines Reallabors erforderlich ist, waren sich die Teilnehmenden schnell einig: Es bedarf einer Idee. Dafür braucht es Räume, in denen Ideen entstehen und Experimente durchgeführt werden können. Diese wurden auch als „Bastelraum“ oder „agiler Raum“ beschrieben.
An dieser Stelle wird das Digi-Sandbox-Team ansetzen und prüfen, wo es in Nordrhein-Westfalen bereits derartige Räume gibt, bzw. wo und wie man sie einrichten könnte, um auch den laut Aussage der Teilnehmenden „fehlenden Spirit“ zu verbreiten.

Für wichtig hielten die Teilnehmer auch den Aspekt der Kommunikation und Information, sowohl zu branchenspezifischen als auch zu übergreifenden Themen. Denn nur so kann Wissenstransfer gelebt werden. Wesentlich ist hierbei insbesondere, dass nicht nur Erfolgsgeschichten erzählt, sondern auch Fehlschläge geteilt werden.
Um in Nordrhein-Westfalen das Bewusstsein zu stärken, dass Scheitern beim Experimentieren dazugehört, könnte sich das Digi-Sandbox-Team 2023 auch ein Austauschformat zu Misserfolgen vorstellen. Erfahrungsberichte verdeutlichen die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Etablierung von Reallaboren. So können effektive Lösungsansätze auf das eigene Vorhaben übertragen werden und begangene Fehler werden nicht wiederholt.
Digi-Sandbox.NRW hat die Landkarte der Reallabore mit Angabe der Ansprechpartner insbesondere auch dafür errichtet, damit „Partner“ für die Ausführung von Reallaboren gefunden werden können. Diese Funktion muss weiter ausgebaut werden, wie die Anregung der Teilnehmenden im Hinblick auf ein „Tinder für Reallabore“ zeigt.

Daneben nannten die Teilnehmenden Aspekte wie eine politische Strategie zu Reallaboren, die Entbürokratisierung / Schaffung vereinfachter Prozesse sowie Fördermittel.

©Projektträger Jülich (PtJ)

Rechtsberatung

Im zweiten World-Café ging es um rechtliche Hürden bei der Etablierung von Reallaboren und wie man diesen begegnen kann. Wenn eine Idee für die Einrichtung eines Reallabors entstanden ist, ist die erste zentrale Herausforderung, die von den Teilnehmenden identifiziert wurde, die Feststellung, ob gesetzliche Regelungen – wovon es eine Vielzahl gibt – verletzt werden. An dieser Stelle wurde sich Rechtsberatung gewünscht.

Experimentierklauseln fehlten insbesondere in der europäischen Datenschutzgrundverordnung, im EU-Beihilferecht, im Infektionsschutzgesetz, im Bereich Flugrechte und Überstrahlrechte (Funk), bei CO2-Faktoren (Strom) sowie im Bereich Landwirtschaft/Landnutzung. Soweit es sich bei diesen Aufzählungen um Bundesrecht handelt, stellt das geplante Reallabore-Gesetz des Bundes gegebenenfalls eine Chance dar, weitere Experimentiermöglichkeiten vorzusehen.

Angeregt wurde zudem die Erstellung eines Leitfadens zur Nutzung von Experimentierklauseln. Der „gute Draht“ zum BMWK wird natürlich auch genutzt, um den Kollegen beim Bund die Ergebnisse unseres Workshops mitzuteilen.
Sofern es bereits Möglichkeiten für Sondergenehmigungen gibt, besteht ein weiteres Hindernis darin, den zuständigen Entscheider zu finden und zu kontaktieren. Hierbei leistet Digi-Sandbox-NRW mit einer Auflistung der bestehenden Experimentierklauseln gekoppelt mit den zuständigen Genehmigungsbehörden Hilfestellung. Unsere Initiative dient als einheitliche Anlaufstelle, sog. One-Stop-Shop für Reallabore. Eine weitere Hürde stellen die Dauer der Genehmigungsverfahren dar. Mit einer besseren Einbeziehung der Genehmigungsbehörden möchte Digi-Sandbox.NRW auch hier Verbesserungen erzielen.

©Projektträger Jülich (PtJ)

Einheitliche Rahmenbedingungen

Im dritten World-Café ging es um das Ausrollen von Reallaboren, wobei sowohl der Fall des Experimentierens an mehreren Standorten als auch der der Zeitraum nach dem Experimentieren betrachtet wurde.

Problematisch in der ersten Konstellation ist insbesondere der unterschiedliche Umgang der Genehmigungsbehörden mit Anträgen. Hier bedarf es einheitlicher Rahmenbedingungen sowie beschleunigter Verfahren.
Nach erfolgreichem Ausprobieren sollte das Recht so weiterentwickelt werden, dass die Innovation ohne Rückgriff auf Experimentierklauseln bzw. ohne Beantragung von Sondergenehmigungen zulässig ist. Sofern die Innovation erfolgreich erprobt wurde und sich im Experimentierzeitraum eine Vermarktbarkeit zeigt, steht dem Ausrollen in den Markt nichts entgegen.

Insgesamt wünschen sich die Teilnehmenden eine stärkere behördliche Begleitung sowie Unterstützung bei der Vernetzung mit potenziellen Finanzgebern.

Ausblick

© MWIKE

Im vorletzten Tagesordnungspunkt stellte sich Dr. Konstantin Kolloge, Leiter der Geschäftsstelle Reallabore aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), den Fragen von Jennifer Gerwing, die als Referentin für Recht der digitalen Wirtschaft im MWIKE an den Plänen des Bundes besonders interessiert ist. Der Bund bietet weitreichendes Informationsmaterial zum Thema Reallabore. Hervorzuheben ist das vom Bund für 2023 geplante Reallabore-Gesetz, dem ein weites Beteiligungsverfahren vorangehen soll. Hier haben auch die nordrhein-westfälischen Akteure die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen.  Auch werden neue Experimentierklauseln hoffentlich dazu beitragen, dass diese vermehrt genutzt werden. Im Hinblick auf die Einrichtung eines One-Stop-Shops bezeichnete Herr Dr. Kolloge Nordrhein-Westfalen als Vorreiter. 

©Projektträger Jülich (PtJ)

Zum Abschluss der Veranstaltung führte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur aus, dass Reallabore als eine Art „Do-Tanks“ wichtige Innovationen anstoßen und damit Lösungsmöglichkeiten für die drängenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, wie dem Klimawandel, der Energiekrise, der Mobilitätswende und der Lebensmittelversorgung bereitstellen können.

Aus diesem Grund ist eines für Frau Ministerin Neubaur besonders wichtig: dass Reallabore in Nordrhein-Westfalen Raum zum Experimentieren erhalten. Bei Erfolg sollen sie mit erhöhter Geschwindigkeit ausgerollt werden. 

 

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für diesen gelungenen Auftakt und nehmen für 2023 folgende To-dos mit:

To-dos

  • als Ansprechpartner für alle Fragen rund um Reallabore zur Verfügung stehen
  • weitere Netzwerktreffen planen
  • fachspezifische Veranstaltungen (z. B. für den Bereich Industrie/Recht – Umgang mit rechtlichen Hürden)
  • Match-Making, Austausch über Misserfolge, Vor-Ort-Treffen bei Reallaboren
  • weiter informieren auf der Webseite und per Newsletter sowie vernetzen