Aus der Praxis: 10 Tipps für Reallabore
Sie denken darüber nach, ein Reallabor aufzubauen? Oder testen vielleicht momentan schon eine innovative Technologie im Rahmen eines Reallabors? Jens-Peter Seick, Projektleiter des Reallabors Lemgo Digital vom Fraunhofer IOSB-INA, teilt seine besten Tipps für angehende Reallabor-Pionierinnen und -Pioniere.
1 Vom Problem ausgehen
„Wir sind zu Beginn rein technologisch orientiert gestartet und haben über unser technologisches Know-how Anwendungsfälle geschaffen. Mittlerweile haben sich Smart-City-Anwendungen gut entwickelt und ich würde heute andersrum starten“, so Jens-Peter Seick. Also: „Erst einmal überlegen, was man tun will, bevor man entscheidet, mit welcher Technologie man das umsetzen will. Von einem Problem ausgehen, nicht von einer Technologie.“ Halten Sie die Augen offen für Probleme!
2 Bedarfe ermitteln
Fragen Sie sich: Brauchen diejenigen, die man als Zielgruppe im Blick hat, überhaupt die großartige Lösung, an der man gerade tüftelt? „Wir dachten, wir sind mit unseren digitalen Ansätzen für den innerstädtischen Einzelhandel hochwillkommen“, so Seick. Die Lemgoer Einzelhändler hingegen beäugten das Vorhaben zunächst skeptisch. Was direkt zum nächsten Tipp führt:
3 Austausch, Austausch, Austausch
Fragen Sie nicht nur sich, sondern auch andere. Was braucht die Kommune? Wo drückt den einzelnen Zielgruppen der Schuh? Welche Stakeholder gibt es überhaupt vor Ort? Wie funktioniert ihr Zusammenspiel? „Wir haben ganz klassisch Workshops veranstaltet – und waren am Ende selbst überrascht von den vielen unterschiedlichen Bedarfen!“, sagt Seick.
4 Technologie greifbar machen
‚Die Digitalisierung‘ ist ein schwammiges Thema. Besser als abstrakte, schwer vorstellbare Konzepte: ein konkreter Prototyp. Im Fall des Reallabors Lemgo Digital hieß das zum Beispiel: Ausprobieren, welchen Mehrwert etwa Passantenfrequenzmessung und Bewegungserkennung in der Innenstadt für den Einzelhandel haben können. Und so ist nun auch eine große Nachbarkommune an den innovativen Technologien interessiert, die in Lemgo erprobt wurden und den neuen Technologien, die nun dort im Rahmen eines Reallabors getestet werden.
5 Schritt für Schritt denken
Klar, der große Heureka-Moment – wer hätte den nicht gerne? Vielversprechender, als auf den alles entscheidenden Geistesblitz zu warten ist es, Schritt für Schritt vorzugehen. Zum Beispiel so: Alternative Fortbewegungsmittel zum Auto müssen attraktiver werden. Warum ist Autofahren derzeit attraktiv? Unter anderem, weil es eine grüne Welle für Autos gibt. Warum aber nicht für Fahrräder? Was braucht es, um eine grüne Welle für Fahrräder zu ermöglichen? Ampeln müssen erkennen, welche Fortbewegungsmittel vor ihnen stehen bzw. sich auf sie zu bewegen. Die nächsten Schritte: eine KI entwickeln, die der Ampel das ermöglicht. Die Ampelsteuerung weiterentwickeln. Und dabei Datenschutz- und Sicherheitsaspekte berücksichtigen. Alles gleichzeitig? Schwierig. Aber auf einzelne Schritte aufgeteilt: machbar! Denken Sie also von Schritt zu Schritt.
6 Kreative Lösungen finden
Probleme sind dafür da, um gelöst zu werden! Wer sagt, dass Sie nicht eine Komponente/Lösung auf zwei Module aufteilen können? So geschehen im Projekt KI4SLA in Lemgo Digital: Anstatt einer KI, die den Verkehr erkennt und gleichzeitig steuert, wurden die beiden Aufgaben auf zwei Komponenten aufgeteilt, wodurch nur für das Erkennungselement die Vorgaben der DSGVO gelten. Und dadurch, dass eine geringere Kamera-Auflösung verwendet wurde, sind die einzelnen Passanten nicht identifizierbar. Durch die Nutzung eines stationären Rechners statt einer Cloud werden die Daten zusätzlich abgesichert. So können auch vermeintliche Beschränkungen wie die Qualität der Kameraauflösung eine Lösung sein!
7 Regeln selbst gestalten
Es gibt noch keine Regeln für Ihr Vorhaben? Erlegen Sie sich selbst welche auf, und gestalten Sie mit! Dadurch übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Reallabor und die Umgebung, in der Sie arbeiten, und positionieren sich als verlässlicher, berechenbarer Partner.
8 Weg mit den Silos, her mit den Kooperationen
Denken Sie nicht mal daran, in althergebrachten Silo-Strukturen zu denken. Vernetzen Sie sich! Kooperieren Sie mit Forschungsinstituten, mit der Kommune, in der Sie arbeiten, mit Menschen, Verbänden, Vereinen vor Ort. Jens-Peter Seick: „Wir haben andere eingeladen, unseren Raum zu nutzen und mit uns Projekte durchzuführen.“ Teilen Sie Ihre Ergebnisse mit allen, die daran interessiert sind. So erhalten auch Sie neuen Input für Ihr Reallabor und Feedback aus dem ‚richtigen Leben‘.
9 Raus aus den Metropolen
Suchen Sie sich gezielt kleinere und Mittelstädte als Erprobungs- und Umsetzungsorte für Ihr Reallabor: Hier sind die Strukturen übersichtlicher und die Entscheidungswege kürzer.
10 Bürgermeister/-in überzeugen
Überzeugen Sie den Bürgermeister/die Bürgermeisterin von Ihrem Vorhaben: Gerade in kleineren Städten ist er/sie die wichtigste Person und kann Ihnen Türen in die Verwaltung öffnen.
BONUSTIPP
11 Unbehagen überwinden
Legen Sie los! Überwinden Sie Ihre Bedenken und starten Sie. Wenn Sie auf Schwierigkeiten stoßen und/oder die passende Genehmigungsbehörde suchen, melden Sie sich beim Team der Digi-Sandbox.NRW. Wir stehen als Ansprechpartner für alle Belange von Reallaboren in NRW für Sie bereit.